Effizientere Einkaufsprozesse ebnen Weg für Einkauf 4.0

Faxen war gestern: Digitalisierung im Einkauf bringt neue Aufgaben

Der operative und administrative Einkauf wird aufgrund der Digitalisierung aussterben, prognostiziert der BME in seiner Vorstudie zum Einkauf 4.0. Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen hat zur Folge, dass sich die Arbeitsaufgaben im Einkauf verändern. So müssen Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau zunächst einmal ihre Beschaffungsprozesse im Rahmen des E-Procurements verbessern. Erst dann ist der Weg für die Digitalisierung frei.

E-Procurement heute – Einkauf 4.0 morgen?

Ein Beispiel für Einkauf 4.0 könnte wie folgt aussehen: In einer digitalisierten Welt erhält der Einkäufer per Knopfdruck Echtzeit-Daten auf sein Tablet. So kann er schnell entscheiden, wenn etwa Lieferanten aufgrund einer Krise ausgelistet werden müssen. Parallel laufen im Hintergrund Bestellungen und Auftragsbestätigungen automatisch ab. Das bedeutet weniger Zeit für administrative und mehr Raum für produktive Tätigkeiten. Allerdings klingt dieses Szenario insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau noch nach Zukunftsmusik.

 

Die Hauptproblematik: Es existieren zunächst einmal unterschiedliche Auffassungen, was genau sich hinter Industrie 4.0 bzw. Einkauf 4.0, also der Digitalisierung von Geschäftsprozessen verbirgt, so der Experte und Berater Friedrich Klement von Phoron Consulting: „Für die einen stellt die Bearbeitung von Bestellungen per E-Mail schon eine Digitalisierung dar. Für die anderen wäre der nächste große Schritt den strategischen Einkauf aufgrund seiner Rolle und Vernetzung im Unternehmen sowohl intern als auch extern zu stärken.“ Als Vorreiter gilt hier die Automobilbranche. Denn hier sind die operativen und administrativen Einkaufsprozesse – von der Anfrage über die Auftragsbestätigung bis hin zum Rechnungsprozess – via elektronischem Beschaffungsprozess (EDI) und E-Procurement-Tools weitestgehend automatisiert. Doch Best Practices aus dem Automotive-Bereich lassen sich nicht beliebig adaptieren. Das liegt unter anderem daran, dass Maschinen- und Anlagenbauer für jedes individuell konstruierte Teil keine Standardmaterialien oder Artikel mit ihren Lieferanten austauschen können.

Einkaufsprozess im Maschinenbau verschlingt Zeit und Geld

Einigkeit unter den CPOs besteht laut einer BME-Studie in der Veränderung der Aufgaben im Einkauf. Dass der operative und administrative Einkauf komplett verschwindet, glaubt Klement aber nicht: „Der operative Einkauf ist beispielsweise das Verhandeln von Kontrakten, und das verlangt immer noch sehr viel Einkaufs-Know-how. Gleichzeitig wird unglaublich viel Zeit in sinnlose Prozesse investiert, die Geld kosten. Wenn wir uns die Beschaffungsprozesse eines Maschinen- oder Anlagenbauers ansehen, dann machen die Kosten zum Teil 40 Prozent des Gesamtprozesses aus. Das ist viel Geld, das sich mit passenden Tools einsparen lässt.“ Doch laufe der Einkaufsprozess bei 80 Prozent der deutschsprachigen Unternehmen noch konventionell ab: So muss sich beispielsweise der Einkäufer die Konstruktionszeichnung für die Bestellung notwendiger Teile noch selbst beschaffen, diese auf ein Medium speichern und per Fax oder Mail an den Lieferanten schicken. Das zeigt auch eine aktuelle Studie, wonach mehr als drei Fünftel der Befragten in ihren Unternehmen noch Fax oder E-Mails für die Vorbereitung und den Versand von Ausschreibungen verwenden.

Infografik Einkauf 4.0

Aus der Praxis: Einkaufsprozesse in Echtzeit steigern die Performance

Einkaufsprozesse in Echtzeit sind auch das Ziel der pester pac automation GmbH, einem Maschinen- und Anlagenbauer für Verpackungsmaschinen aus Wolfertschwenden im Allgäu. Im ersten Schritt der Digitalisierung sollten die weltweiten Beschaffungsprozesse schneller und die Kosten pro Bestellvorgang reduziert werden. Deshalb fiel die Wahl auf das Einkaufstool Flex.Procurement: „Wir haben das Lieferantenportal aus dem Phoron Lösungspaket für den Einkauf eingeführt“, so Klement. „Das heißt, die Lieferanten des Maschinen- und Anlagenbauers sind über das Portal, Link und EDI angebunden. Über diese drei Kanäle lassen sich nun Daten in Echtzeit austauschen und bearbeiten. Damit werden aktuell 100.000 Bestellpositionen im Jahr 2016 elektronisch abgewickelt. Das sind 30 Prozent mehr Bestellpositionen innerhalb eines Jahres.“ Heute laufen 93 Prozent der Bestellvorgänge, die früher noch über Email- Kommunikation mit dem Lieferanten erfolgten, automatisiert ab. Insgesamt ließen sich die Kosten für einen Bestellvorgang auf 20 Euro reduzieren. Das sind durchschnittlich 70 Euro weniger als bei vergleichbaren Unternehmen.

 

Das Ziel muss also sein, dass Systeme eigenständig oder halbautomatisch miteinander kommunizieren und keine Medienbrüche mehr stattfinden. Das scheitert oftmals an der veralteten IT-Infrastruktur, die große Datenmengen nicht mehr richtig verarbeiten und bereitstellen kann. Tatsächlich sehen viele Unternehmen laut der Vorstudie Einkauf 4.0 die Einführung neuer Systeme kritisch. Hierbei werden vor allem Tauglichkeit, Fähigkeit sowie Kompatibilität in Frage gestellt.

 

Deshalb ist viel Überzeugungsarbeit nötig, um den digitalen Wandel im Unternehmen zu vollziehen. Dabei ist die Einbindung der Mitarbeiter von Anfang an mit am wichtigsten. Klement: „Es hilft nicht, wenn man dem Kunden erklärt, dass sich beispielsweise unser Einkaufstool nach sechs Monaten amortisiert. Für die Einkäufer ist wichtig zu wissen, inwieweit sich ihre Aufgaben ändern. Daher macht das Change Management bei solchen Projekten den Großteil aus. Denn mit der Einführung einer Procurement-Suite verändert sich die Qualität der Arbeit und die Mitarbeiter gewinnen mehr Zeit für sinnvollere, strategischere Tätigkeiten.“ Es geht also nicht darum, mit den neuen digitalen Tools Personal im Einkauf abzubauen, sondern dessen Aufgaben aufzuwerten hin zu ‚echten Einkaufstätigkeiten‘.